No mud, no lotus!

Wenn wir leiden, meinen wir oft, in diesem Moment existiere nur das Leid und das Glück müsse sich an einem anderen Ort oder in einer anderen Zeit befinden. Doch die Vorstellung, es könnte ein Leben ohne Leid geben, ist genauso irrig wie die Annahme, es gäbe eine linke Seite ohne eine rechte; das Gleiche gilt für die Vorstellung, das Leben hielte für uns überhaupt kein Glück bereit. Ohne Rechts gibt es auch kein Links. Wo es kein Leid gibt, gibt es auch kein Glück und umgekehrt.
No mud, no lotus! Lotosblüten benötigen Schlamm, um zu wachsen. Der Schlamm riecht nicht gut, doch die Lotusblüte duftet wunderbar. Ohne Schlamm gibt es keinen Lotus.
Es kann passieren, dass wir im Morast des Lebens stecken bleiben. Es ist so einfach, überall um uns herum nur den Schlamm und Morast wahrzunehmen. Es gehört zu den schwersten Übungen, sich selbst nicht von Verzweiflung überwältigen zu lassen. Doch wir sollten uns daran erinnern, dass Leid der Schlamm ist, den wir benötigen, um Freude und Glück entstehen zu lassen. Ohne Leid gibt es kein Glück. Deswegen sollten wir unserem Leid vorbehaltlos begegnen. Wir sollten lernen, wie wir unser eigenes Leid und das der Welt umarmen und mit viel Zärtlichkeit im Arm halten können. Aus: Thich Nhat Hanh „Ohne Schlamm kein Lotus: Die Kunst, Leid zu verwandeln“